Nur der Anfang:  Der BGH zum digitalen Nachlass

Ein „Gastzerberus“ von RA Matthias Pruns, veröffentlicht in der ZErb 8/2018

Man könnte meinen, jetzt sei alles geklärt: Der BGH hat mit Urteil vom 12.7.2018 entschieden, dass Erben auch die Rechtsnachfolge in ein Benutzerkonto der Erblasserin bei Facebook antreten. Die bekannten erbrechtlichen Grundsätze greifen ein und auch die Rechte Dritter, also insbesondere die Rechte der Kommunikationspartner der Erblasserin stehen einer Zugangsverschaffung nicht im Wege. Es gibt im Ergebnis also keinen wesentlichen Unterscheid zwischen analoger und digitaler Kommunikation.

Das würde der Bedeutung des Themas „Digitaler Nachlass“ allerdings nicht gerecht. Es braucht nur einen Blick in die aktuellen Pressemitteilungen des BGH und etwas Phantasie: In der Pressemitteilung Nr. 117/2018 des BGH findet man bspw. die Ankündigung des Verhandlungstermins „in Sachen I ZR 153/17 (Umfang der von ‚YouTube‘ geschuldeten Auskünfte über Benutzer)“. Da kann man sich dann schnell neue Sachverhalte ausdenken: Was, wenn etwa Auskünfte über einen verstorbenen Benutzer verlangt werden, etwa wegen angeblicher Rechtverletzungen des Verstorbenen?

Aber auch „klassische“ Fragen treten im neuen Gewand auf. Spätestens mit dem Urteil des BGH dürfte etwa klar sein, dass der Testamentsvollstrecker sich auch um die digitalen Hinterlassenschaften des Erben kümmern muss. Der Erblasser muss für den Zugang nach seinem Tod sorgen und sich dessen bewusst sein, dass der Testamentsvollstrecker auch online alles zu sehen bekommt, was er nicht vorher gelöscht hat.

Und wie erteilt man dem Pflichtteilsberechtigten Auskunft über die digitalen Hinterlassenschaften des Erben? Reicht die Angabe über die vorhandenen Gerätschaften? Oder muss man auch die gespeicherten Inhalte benennen? Was, wenn die gespeicherten Inhalte in Immaterialgüterrechten bestehen? Wie bewertet man diese bei der Pflichtteilsberechnung?

Das alles macht sich aber noch vergleichsweise harmlos aus, wenn wir grundlegendere Probleme in den Blick nehmen! Schon jetzt wird daran gearbeitet, die Persönlichkeit Verstorbener elektronisch nachzubilden, etwa als „Chatbot“, mit dem man sich elektronisch austauschen kann. Wie schützen sich Erblasser vor solchen elektronischen Verwertungen ihrer Person? Wie gehen die Erben damit um, wenn ein solcher Schutz gar nicht gewünscht, sondern vielmehr ein digitales „Weiterleben“ gewollt ist? Die Zukunftsvisionen eines William Gibson, der in seinem 1984 erschienenen Roman „Neuromancer“ u. a. den Raub eines „ROM-Speichers“ beschreibt, in dem die Persönlichkeitsstruktur und die Fähigkeiten eines verstorbenen „Hackers“ festgehaltenen sind, scheinen auf einmal nicht mehr so weit hergeholt, wie manch einer bei Erscheinen wohl noch meinte.

Aber auch wenn man nicht so weit ins fantastisch Anmutende gehen will, steht doch fest: Je mehr Arbeits- und Privatleben digital stattfinden, umso mehr neue Fragen werden auch wir Erbrechtler zu beantworten haben. Das Facebook-Urteil des BGH ist da nur die Spitze eines Eisbergs, der uns aus Richtung Zukunft entgegengeschwommen kommt.

Beruhigend wirkt da vielleicht der folgende Gedanke: Das Urteil des BGH zeigt auch auf, dass das über 100 Jahre alte BGB trotz aller verfrühten Rufe nach dem Einschreiten des Gesetzgebers noch immer in der Lage ist, neue Sachverhalte aufzunehmen und diese sachgerechten Lösungen zuzuführen. Und das trotz aller technologischen Fortschritte.

Also: Ruhen wir uns nicht aus und verfallen wir auch nicht in Panik. Trauen wir uns einfach, weiterhin grundlegend nachzudenken. Dann klappt es vielleicht auch mit dieser leider immer so ungewissen der Zukunft. Wir stehen wie immer erst am Anfang!

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